Pflege Betreuung
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Pflegekräfte sind nur selten organisiert

Deutschland leidet unter einem akuten Mangel an Pflegepersonal, vor allem in der Altenpflege. Das bedeutet nicht nur eine Belastung für die Versorgung älterer Menschen, sondern verschärft zugleich die belastenden Arbeitsbedingungen, den Mangel an Anerkennung sowie den Rationalisierungsdruck im Pflegealltag. In einem neuen Buch untersuchen WZB-Fellow Wolfgang Schroeder und Saara Inkinen von der Universität Kassel die Frage, ob und wie durch kollektive Selbstorganisation der Beschäftigten eine Verbesserung der Lage erreicht werden kann.

Die Forschenden Wolfgang Schroeder und Saara Inkinen legen mit der Publikation „Attraktive Pflegeberufe durch Tarifautonomie. Bedingungen und Potenziale dynamischer Arbeitsbeziehungen in Zeiten des Fachkräftemangels“ eine umfassende Follow-up-Studie zur Entwicklung der Arbeitsbeziehungen in der Altenpflege vor. Aufbauend auf einer ersten Erhebung von 2018 untersucht das Buch, wie kollektive Selbstorganisation und funktionierende Tarifbeziehungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen können – und welche Rolle Pflegekräfte, betriebliche Interessenvertretungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dabei spielen.

Die Analyse basiert auf einer repräsentativen Befragung von 747 Altenpflegekräften sowie Interviews mit betrieblichen Interessenvertretungen und überbetrieblichen Verbänden, darunter alle relevanten Gewerkschaften sowie Dienst- und Arbeitgeberorganisationen in der Pflege. Damit bietet die Studie einen seltenen Langzeitvergleich und verknüpft die Perspektiven zentraler Akteure der Branche.

Schwächen und Herausforderungen

Die Ergebnisse zeigen: In der Altenpflege existieren zwar alle zentralen Strukturen für Tarifbeziehungen und kollektive Interessenvertretung, sind bislang jedoch nur schwach verankert. Gewerkschaften wie ver.di verfügen nur über einen geringen Organisationsgrad über wenig Mobilisierungskraft; viele private Arbeitgeberverbände zeigen zudem wenig Interesse an gestaltender Tarifpolitik. Weitere Hürden sind die historisch gewachsene Berufsmentalität, der hohe Anteil an Frauen, die sich in hoher Zahl als Teilzeitkräfte wirken sowie eine altruistische Berufsmentalität. Diese Faktoren schwächen das Arbeitnehmerbewusstsein und verstärken die Erwartung, dass insbesondere der Staat (88 %) und weniger die Arbeitgeber (71 %) für bessere Arbeitsbedingungen sorgen müssen. All dies erschwert den Aufbau durchsetzungsfähiger Arbeitsbeziehungen. Weder bei den Beschäftigten noch bei den Arbeitgebern besteht bislang eine tragfähige Grundlage für nachhaltige Verbesserungen. Ein Teufelskreis schwacher Interessenvertretung verstärkt diese Defizite und behindert die Etablierung sozialpartnerschaftlicher Strukturen und Verhaltensweisen.

Erste positive Signale

Gleichzeitig zeigen sich aber auch Fortschritte: Das wachsende öffentliche Problembewusstsein – verstärkt durch die Pandemie und den Fachkräftemangel – hat das Verständnis für die Bedeutung kollektiver Interessenvertretung gestärkt. Inzwischen sind 58 % der Befragten bereit, aktiv für bessere Bedingungen einzutreten – ein Anstieg von zehn Prozentpunkten gegenüber der ersten Erhebung. Auch Interessenvertretungen engagieren sich stärker, und Gewerkschaften wie ver.di erschließen durch gezieltere Ansprache und engere Kooperation mit Betriebsräten neue Potenziale. Arbeitgeberverbände zeigen, getrieben durch staatlichen Druck und den Wettbewerb um Fachkräfte, allmählich mehr Offenheit für tarifliche Lösungen. Insgesamt befindet sich die Branche in einem dynamischen, jedoch teils widersprüchlichen Wandel. Entscheidende Impulse für Verbesserungen können aber vor allem durch die aktive Mitwirkung der Beschäftigten und der Interessenvertretungen entstehen.

„Unsere Analysen machen Mut, dass die Potenziale für eine selbstbestimmte Arbeitsbeziehung langsam wachsen – der Weg dahin bleibt jedoch steinig und erfordert Engagement auf allen Seiten“, so Wolfgang Schroeder. „Die Zukunft der Altenpflege wird entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, gemeinsam tragfähige Strukturen zu schaffen und die Beschäftigten stärker zu beteiligen.“

22.5.2025, kes