Wo Grenzen überschritten werden
Künstlerische Hochschulen sind nicht nur Orte der Inspiration und kreativen Entwicklung, sondern auch von Machtstrukturen geprägt, die das Wohlbefinden der Studierenden beeinflussen können. Eine neue Studie zu „Grenzüberschreitungen an künstlerischen Hochschulen“, koordiniert von WZB-Forscherin Marina Fischer, zeigt auf, dass grenzüberschreitendes Verhalten, Machtmissbrauch und Diskriminierung an künstlerischen Hochschulen in Deutschland verbreitet sind – mit Folgen für die psychische Gesundheit der Betroffenen.
In den letzten Jahren, insbesondere mit der #MeToo-Bewegung, ist auch das wissenschaftliche Interesse an den Arbeits- und Lernbedingungen Kunstschaffender gewachsen. Genau dies war Anlass für Marina Fischer und ihre Mitstreiterinnen in einer Umfrage mehr über die Erfahrungen von Studierenden herauszufinden.
In einer anonymen Onlineumfrage zwischen Juli und September 2022 wurden Studierende künstlerischer Hochschulen in Deutschland befragt. Über 600 Teilnehmende bundesweit teilten berichteten über ihre Erfahrungen mit grenzüberschreitendem Verhalten im Kontext ihrer Hochschule und den Auswirkungen auf ihr psychisches Wohlbefinden. Im Kontext der Hochschule meint: in der künstlerischen Ausbildung, in sich daraus ergebenden praktischen Tätigkeiten oder beruflichen Netzwerken. Die vorgestellten Ergebnisse verdeutlichen, dass Kunstschaffende schon in frühen Phasen ihrer professionellen Laufbahn diversen Formen von grenzüberschreitendem, feindseligen Verhalten ausgesetzt sind.
Die Ergebnisse der Studie wurden in einem ViSoP-Projekt von WZB und Universität der Künste aufgearbeitet – Marina Fischer, Forscherin im Promotionskolleg „Gute Abeit“ arbeitete eng mit den angehenden Gestalterinnen Laura Quade und Yulia Ostheimer zusammen. Es entstand ein Heft zur Wissenschaftskommunikation, das diese Thematik aufgreift und visuell zugänglich aufbereitet. Die Kooperation mit einer künstlerischen Hochschule unterstreicht die Wichtigkeit, sicherere Lern- und Arbeitsbedingungen für junge Künstler*innen zu schaffen und ermöglicht, sich diesem Thema mit den Werkzeugen aus Gestaltung und Wissenschaft zu nähern, macht Marina Fischer deutlich.
Zentrale Ergebnisse
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Sehr viele Studierende haben Grenzüberschreitungen erfahren. 92 Prozent der Teilnehmenden gaben in der Onlineumfrage an, eine oder mehrere der erhobenen Formen von Grenzüberschreitung im Kontext ihres Studiums erfahren zu haben.
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Folgende Erfahrungen wurden untersucht: sexuelle Belästigung, Machtmissbrauch, Mikroaggressionen, Diskriminierung, sexualisierte (digitale und analoge) Gewalt im Kontext des Studiums
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Über die Hälfte der Personen berichtete von Diskriminierung, fast jede zweite von sexueller Belästigung. Eine von acht Personen berichtete von ausgeprägter sexualisierter Gewalt.
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Betroffene Studierende fühlen sich psychisch belastet und berichten von Angst und Depressivität.
Besonders betroffene Gruppen
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Angehörige marginalisierter Gruppen – darunter weibliche, trans- und inter-Personen sowie queere Menschen, außerdem Studierende mit Sorgeverantwortung und chronisch kranke Studierende – berichteten tendenziell häufiger von Erfahrungen mit grenzüberschreitenden Verhalten.
Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ für alle künstlerisch Studierenden, aber durch die breite Fachzusammensetzung und regionale Verbreitung dennoch aufschlussreich.
Handlungsbedarf und Empfehlungen
Die Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit gezielter Präventionsmaßnahmen:
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Sensibilisierung und Schulung: Künstlerische Hochschulen sollten Programme zur Aufklärung und Prävention intensivieren.
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Unterstützungsangebote: Beratungs- und Hilfsangebote für betroffene Studierende müssen ausgebaut werden, insbesondere mit Blick auf spezifische Bedürfnisse marginalisierter Gruppen und vulnerabler Lebenssituationen.
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Strukturelle Maßnahmen: Klare Richtlinien und effektive Beschwerdemöglichkeiten sind essenziell, um eine sichere Lernumgebung zu schaffen.
28.3.25/kes