Afrikanische Bäuerin mit Handy
Wirestock/iStock/Getty Images Plus

Afrika und die Künstliche Intelligenz

Zwischen Innovation und Abhängigkeit von Rohstoffen

Die Digitalisierung gilt als einer der Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas. Auf dem Kontinent haben sich in den vergangenen Jahren einige große digitale Unternehmen gegründet. Die Hoffnungen der afrikanischen Länder richten sich darauf, ihren Bevölkerungen dadurch einen Weg aus der Armut zu weisen. Wie sehen diese Potenziale aus, auf welcher Grundlage werden sie entwickelt, und worin bestehen die Grenzen? Ein Blick auf die afrikanischen Ökonomien im digitalen Zeitalter.

Die Geschichte der digitalen Vernetzung hat sich in Afrika anders abgespielt als in vielen Teilen der Welt. Festnetze für Telefone und Computer haben sich auf dem Kontinent nie umfänglich etablieren können: Nur 0,4 Prozent der afrikanischen Bevölkerung nutzen Festnetz-Breitbanddienste. Auch wenn nach wie vor erhebliche „connectivity gaps“, Verbindungslücken zwischen dem afrikanischen Kontinent und dem Rest der Welt wie innerhalb Afrikas bestehen, haben ausländische Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten die afrikanische Telekommunikationsinfrastruktur auf Basis des Mobilfunks massiv ausgebaut. Dieses Leapfrogging, also das Überspringen technischer Entwicklungsstufen, kommt in Afrika auch bei anderen digitalen Techniken vor: Während der Heimcomputer auf dem Kontinent nie heimisch wurde, haben sich Mobiltelefone flächendeckend durchgesetzt. Analysten und Politiker erhoffen sich aufgrund dieser Entwicklungen sowohl innovative Ansätze für erfolgreiche Geschäftsmodelle als auch eine intensivere globale Vernetzung. Bereits 2020 machten mobile Techniken und Dienstleistungen acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts Subsahara-Afrikas aus.

Heute zählt Afrika sieben sogenannte „Einhörner“. Das sind Unternehmen mit einem Wert von mindestens einer Milliarde Dollar. Allein fünf davon sind im Bereich der Finanztechnologie (FinTech) aktiv. Im Wesentlichen konzentrieren sich diese Unternehmen auf Nigeria, Kenia, Ägypten und Südafrika, die im Jahre 2020 80 Prozent des gesamten Investitionsvolumens auf sich vereinten. Ghana und Senegal, in denen jeweils eins der FinTech-Startup Einhörner gegründet wurde, wird das Potenzial zugesprochen, zu den Startup-Hotspots innerhalb Afrikas aufzuschließen. Doch was das Wachstumspotential betrifft, unterscheiden sich die afrikanischen Einhörner nicht unwesentlich von ihren europäischen oder amerikanischen Artgenossen: Sie akquirieren weltweit die geringsten Investorengelder. Sie haben zwar im Durchschnitt eine längere Lebensdauer als z.B. US-amerikanische Startups, bei denen 65 Prozent in ihren ersten zehn Jahren scheitern. Diese Fähigkeit der afrikanischen Startups auch längere „Trockenphasen“ ohne frische Kapitalzufuhr auszuhalten und nicht sofort einzuknicken, hat ihnen die Charakterisierung als „Kamele“ statt Einhörner eingebracht. Wenn schon keine Kapitalmacht, so kann diese Spezies immerhin „Lebensdauer“ für sich geltend machen. Die Kennzeichnung verrät, dass jene Startups länger als andere überleben, ohne überhaupt Gewinne zu machen, ihre grundlegende Eigenschaft also darin besteht, über weite Strecken, kapitalistisch unrentabel zu sein – das Gegenteil dessen, was sie als Unternehmen anstreben.

Hier wird eine erste Grenze des digitalen Aufschwungs in Afrika deutlich. Dieser ist auf sehr wenige Länder begrenzt und muss mit einer deutlich geringeren Kapitalausstattung zurechtkommen als beispielsweise Startups in Europa oder den USA. Im Jahr 2022 betrug die Summe der Investitionen in Startups auf dem gesamten afrikanischen Kontinent fast fünf Milliarden US-Dollar. Das war bislang die Höchstsumme. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum sind es allein in Deutschland fast 10 Milliarden Euro gewesen.

Fintechs ziehen mit 34 Prozent (2023) nach wie vor mit Abstand die meisten Investitionen in afrikanische Startups an. Ihr Anteil an den Gesamtinvestitionen ist in den letzten Jahren rückläufig. So waren es 2021 noch 55 Prozent. Der Trend zeigt weiter abwärts, im ersten Halbjahr 2024 gingen die Investitionen in afrikanische Fintechs um 70 Prozent zurück. Doch jenseits dieser makroökonomischen Kennziffern ist von Interesse, einen Blick auf die Geschäftsmodelle der afrikanischen Fintech-Branche zu werfen. 

Neue Geschäftsmodelle – Überwindung der Armut oder lediglich ein Geschäft?

Ein Großteil der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent besitzt kein Bankkonto. Im Jahr 2020 gab es lediglich vier afrikanische Länder, in denen mehr als drei Viertel der Bevölkerung ein Bankkonto haben. Dies erklärt den schnellen Erfolg der Fintech-Apps auf dem Kontinent. In Bezahldiensten wie M-Pesa, das mittlerweile über 60 Millionen Menschen in Afrika nutzen, wird Guthaben einer Telefonnummer zugeteilt und kann von dieser direkt verschickt werden. M-Pesa ist zudem so konstruiert, dass auch Personen, die weder lesen noch schreiben, sie bedienen können. Auf diese Weise ist zwar ein Hilfsmittel für die Geldzirkulation auf dem afrikanischen Kontinent etabliert, die Geldmengen, die von A nach B transferiert werden, wachsen dadurch jedoch nicht an, dass der Transfer digital abgewickelt wird.

Die Landwirtschaft ist ein weiterer Bereich, in dem viele Startups entstehen. Auch wenn diese bloß sechs Prozent der gesamtafrikanischen Startup-Investitionen auf sich vereinen, spielen sie eine bedeutende Rolle, da die Landwirtschaft 53 Prozent der afrikanischen Bevölkerung als Existenzgrundlage dient. Die Startups in diesem Bereich wie etwa Apollo Agriculture aus Kenia bieten v.a. Kleinbauern Versicherungen, Zugang zu Dünge- und Produktionsmitteln, Kredit und Märkten an. Außerdem kooperieren viele der Startups wie Oko aus Mali mit Anbietern von Wetterdaten und stellen Informationen zu Niederschlägen, Sonnenstunden und geeigneten Zeitpunkten für Aussaat, Düngung und Ernte bereit. Die Startups unterstützen die Kleinbauern bei der Bewältigung der Unsicherheiten, die mit der landwirtschaftlichen Produktion aufgrund der Abhängigkeit von Wetterlagen einhergehen und die durch den Klimawandel weiter verschärft werden. So haben die Kleinbauern etwas mehr Planbarkeit im Umgang mit den Schwankungen des Wetters und der Marktpreise, also bei einem Geschäft, das ohnehin nicht viel für sie abwirft und meist nach wie vor auf prekärer Grundlage stattfindet.

Am Beispiel der Geschäftsmodelle der Fintechs und der Agrar-Apps zeigt sich also eine zweite Grenze des digitalen Aufschwungs Afrikas. Die Nutzer der digitalen Dienste haben dadurch nicht mehr Geld in der Tasche bzw. auf der SIM-Karte und sind nach wie vor zu großen Teilen in der Landwirtschaft tätig, die ökonomisch prekär bleibt. Daher sind die Apps kein Ausweg aus der Armut, sondern ein alternativer Umgang mit ihr.

Auch in der Bildung ist sichtbar, auf welchen Bedarf die digitalen Angebote treffen. Ihnen geht es darum, Lehrer zu entlasten, die Klassen von bis zu 70 Kindern betreuen müssen. In einigen Ländern südlich der Sahara kann gerade einmal ein Drittel der Bevölkerung lesen und schreiben. Inhaltlich geht es daher um die Vermittlung jener grundsätzlichen Kompetenzen.

Weil viele Praxen und Krankenhäuser nur schwer erreicht werden können, sollen Apps für die Gesundheitsvorsorge Abhilfe schaffen. Laut der Global Perspectives Initiative sind Gesundheitseinrichtungen in Afrika vielerorts weit entfernt, die Ausstattung mangelhaft und die Leistungen teuer. Auch fehlt es oft an grundsätzlichen Informationen und Aufklärung. Hier bieten junge Unternehmen telefonisch oder per App Auskünfte, Diagnosen und die Lieferung von Medikamenten. Gleichzeitig kann dies nicht über die massive ärztliche Unterversorgung hinwegtäuschen: Während in Deutschland auf 10.000 Menschen 84 Ärzte kommen, sind es auf dem afrikanischen Kontinent gerade einmal drei.

So ist festzuhalten, dass die digitalen Dienstleistungen in Afrika dynamisch wachsen und sich dadurch viele Menschen und Branchen, nicht nur in ländlichen Räumen, miteinander vernetzen. Diese Dynamik spielt sich zu großen Teilen auf der Ebene der Grundbedürfnisse und -versorgung ab. Der Anteil des digitalen Sektors an den gesamten Einkünften der afrikanischen Ökonomien ist aber nach wie vor gering (8 Prozent des Bruttosozialprodukts). Bei allem Wachstum in diesem Sektor leben die afrikanischen Länder immer noch vorwiegend von Rohstoffexporten – wobei sich auch hier durch die Digitalisierung etwas bewegt.  

Hilft Digitalisierung Afrika die Rolle als Rohstofflieferant zu überwinden?

Der Abbau und Verkauf von Rohstoffen in Afrika findet meist nicht für deren eigene Ökonomien, sondern für die Zentren der Weltwirtschaft statt; die Erlöse sind entsprechend abhängig von der Nachfrage auf dem Weltmarkt und können von den Rohstoffproduzenten kaum beeinflusst werden. Die Raffinierung und Veredelung der Rohstoffe und erst recht die Weiterverarbeitung in der Industrie findet nur zu kleinen Teilen in Afrika selbst statt, die dort abgebauten Rohstoffe sind also kein Bestandteil einer nationalen Kapitalzirkulation, sondern Exportgut. Den Großteil ihrer finanziellen Mittel beziehen die afrikanischen Staaten aus dem Außenhandel. In den Jahren 2018 bis 2020 betrug der Anteil der Primärrohstoffe am Gesamtexport aller afrikanischen Länder 68 Prozent, während er Mitte der 1990er Jahr noch bei 40 Prozent lag. Rund 30 Prozent der globalen Mineralreserven befinden sich auf dem afrikanischen Kontinent, darunter viele der von der EU als kritisch für den grünen und digitalen Umbau der europäischen Wirtschaft definierten Rohstoffe wie Kobalt, Graphit oder Magnesium.  

Auch hier sorgt die Digitalisierung schließlich für Bewegung: Einerseits steigert die Zunahme von digitalen Komponenten und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) den Bedarf nach Rohstoffen. Andererseits versprechen sich Investoren durch KI eine schnellere und kostengünstigere Möglichkeit beim Auffinden und Abbauen genau der Rohstoffe, die für die KI notwendig sind. Durch das Trainieren von KIs mit geologischen Daten zur Erdkruste, Bodenbeschaffenheit oder Satellitenbildern werden diese dazu gebracht, Merkmale vergangener Fundstellen wiederzuerkennen. Auf dieser Grundlage sollen diese Anwendungen per Mustererkennung weitere vielversprechende Orte ausmachen, wo sich die begehrten Metalle befinden könnten. Per Vermessung aus der Luft können potentielle Bohrstellen weiter eingegrenzt und präzisiert werden. Entwickelt werden solche Maschinen allerdings nicht in Afrika, sondern von Startups wie KoBold Metal in Kanada oder EarthAI in Australien. – abgesehen von weiteren Minen geht Afrika leer aus, auch wenn es nun Initiativen afrikanischer Länder gibt, eigene Wertschöpfungsketten mit Hilfe ausländischer Investoren zu errichten.

Digitale globale Arbeitsteilung und neue Jobs für Afrika

Der Kontinent etabliert sich außerdem als digitale Werkbank für das Trainieren von KI und der Moderation von Inhalten in sozialen Medien (Content Moderation). Deren Leistungen beruhen neben Algorithmen auf Datenbanken, in denen Unmengen an Informationen gespeichert sind. Mit diesen werden KIs „trainiert“. Investoren sind daran interessiert, dass die Arbeit, die zur Optimierung der KI-Modelle notwendig ist, möglichst preiswert zu haben ist. Schätzungsweise zehn Millionen Menschen arbeiten weltweit an der Bearbeitung von Trainingsdaten, vor allem in Billiglohn-Ländern. Da es für die Aufgaben keine besondere Qualifizierung braucht, kann sie im Prinzip jeder erledigen. Internetkonzerne aus aller Welt machen sich dabei die ökonomische Armut auf dem afrikanischen Kontinent zunutze. Laut den Vereinten Nationen leben 426 Millionen Menschen, d.h. über ein Drittel der gesamtafrikanischen Bevölkerung, in extremer Armut, d.h. dass sie mit weniger als 1,90 Dollar täglich auskommen müssen. Die Clickworker werden zu einem Stundenlohn von 1 bis 2 Dollar beschäftigt. In den meisten Fällen stellen KI-Firmen die Clickworker nicht direkt an, sondern lagern die Arbeit an weniger bekannte Subunternehmen aus. Gewerkschaften, NGOs und Journalisten berichten von Ausbeutung, Perspektivlosigkeit, Kontrolle und Überwachung. Besonders belastend ist die Arbeit der Content Moderation, bei der Darstellungen von Gewalt und Straftaten überprüft und kategorisiert werden. Nicht selten sind diese Clickworker traumatisiert.

Fazit

Auf dem afrikanischen Kontinent zeigt sich in Bezug auf Künstliche Intelligenz und Digitalisierung ein Entwicklungspotenzial. Mit der digitalen Vernetzung ist die Möglichkeit für neue Geschäftsmodelle gegeben. Junge Unternehmen nehmen sich den Nöten der afrikanischen Bevölkerung beim Geldverkehr, der Bewirtschaftung der Äcker, Bildung oder Gesundheitsversorgung an – auch, um ein Geschäft damit zu machen. Der wirtschaftliche Erfolg für die lokalen Unternehmen, sowie die Aussichten auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen hängen von Bedingungen ab, die die Unternehmen nur bedingt und die Arbeitskräfte erst recht nicht selbst in der Hand haben: Angefangen bei der Infrastruktur für die digitale Vernetzung, die globale Konzerne aufbauen, über die Finanzierung der jungen Unternehmen, deren wesentliche Investitionen aus dem Ausland kommen, bis hin zu den Arbeitsangeboten, die den digital vernetzten und gebildeten Afrikanern gemacht werden. Diese bestehen derzeit meist in schlecht entlohnter, stark belastender Clickwork. Zudem bleibt die Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Die Entwicklungspotenziale müssen also im Licht der strukturellen Voraussetzungen der afrikanischen Ökonomien betrachtet werden. Deren Entwicklungspotenzial hängt nicht von der smarten Nutzung digitaler Lösungen ab, für die man nicht mehr als einen Internetanschluss braucht, sondern daran, mit welchen Produkten diese Ökonomien grundsätzlich ihre Einkommen erzielen und die Art und Weise, wie sie bereits in den Weltmarkt eingebunden sind: als Rohstoffexporteure.

14.8.2024

Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Hier finden Sie das PDF zum Beitrag.