„Privates“ Engagement und öffentliche Interessen in transnationalen Räumen – der Weltbürger als politischer Akteur?
Gegenstand
In der globalen Zivilgesellschaft wird ein Akteurstypus politisch immer bedeutsamer: Die Rede ist von einzelnen Personen, die mit ihrem transnationalen Engagement als Weltbürger für ihre „fellow human beings“ politisch aktiv sind. Mit ihren Tätigkeiten wollen sie einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel bewirken zugunsten der Überwindung sozialer Ungleichheit, der weltweiten Geltung der Menschenrechte und des Schutzes globaler Gemeinschaftsgüter. Anders als viele advokatorisch tätige NGOs, die den Prozess der politischen Normsetzung und Normdurchsetzung sowie die Verteilung von Gütern durch Internationale Organisationen beeinflussen wollen, verstehen sich diese Akteure „im Geschäft des Handelns“ (Bill Clinton). Ohne den Umweg über die zur kollektiven Regelsetzung zuständigen politischen Institutionen zu nehmen, wollen sie einen direkten Effekt der Problemlösung erzielen, indem sie etwa Institutionen der Gesundheitsversorgung oder Bildungseinrichtungen bereitstellen oder aber soziale Normen direkt zu ändern suchen. Dabei bringen sie die ihnen jeweils in besonderer Weise zur Verfügung stehenden Ressourcen ein:
- etwa Muhammad Yunus, der mit der Vergabe von Mikrokrediten durch die von ihm gegründete Grameen Bank als herausragendes Beispiel eines „social entrepreneur“ gelten kann;
- etwa Al Gore oder Bob Geldof, die ihren besonderen Zugang zur Öffentlichkeit nutzen, um Bewusstsein zu bilden, soziale Verhaltensnormen zu verändern oder Spenden zu sammeln;
- etwa Bill Gates oder Douglas Tompkins, die ihr Kapital in Stiftungen eingebracht haben und nun selbst einen Beitrag zur Bereitstellung öffentlicher Güter (Gesundheit, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) leisten.
Das Ziel des Forschungsprojektes war es, das Handeln dieser neuen Weltbürger anhand exemplarischer Beispiele systematisch vorzustellen, die unterschiedlichen Handlungstypen begrifflich zu erfassen und ihren Beitrag für die sich entwickelnde politische Ordnung jenseits des Staates kritisch zu erörtern. Wird hier jenseits staatlicher Strukturen und internationaler Kooperationen ein bürgerschaftlicher Beitrag in der globalen Zivilgesellschaft geleistet, nämlich als politisches Engagement von Weltbürgern, deren Handeln die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändert und einen sozialen Wandel auslöst, ohne dass es in klassischer Weise zu einer Form des „Regierens“ gekommen ist? Damit sind freilich neben dem positiven Potential auch vielfältige Fragen der Legitimität dieses Handelns aufgeworfen, etwa die der Kontrolle, der Stetigkeit, der Wirksamkeit und anderes mehr, das es hier zu erörtern gilt.
Bezug zum Abteilungsprogramm
Das Projekt zielte auf die Differenzierung der These gesellschaftlicher Politisierung als Reaktion auf die zunehmenden Supra- und Transnationalisierungsprozesse. Das politische Verhalten der hier zu untersuchenden individuellen Akteure kann als eine Reaktion auf die Defizite der Governance-Leistung durch internationale Institutionen gedeutet werden. Die Politisierung besteht hier nicht in der konstruktiven Nutzung internationaler Institutionen für die eigenen Ziele (wie bei den advokatorisch tätige NGOs) und auch nicht in einer grundsätzlichen Opposition. Vielmehr soll an den klassischen Strukturen vorbei ein direkter problemlösender Effekt erzielt werden. Insofern die gesellschaftlichen Einzelakteure Aufgaben wahrnehmen, die die Staatenwelt unzureichend erfüllt (etwa die Sicherung globaler öffentlicher Güter), kann dies auch zu einer differenzierten Wahrnehmung von „global governance“ verhelfen. Schließlich will das Projekt einen Mosaikstein zu dem Bild der politischen Ordnungsbildung jenseits des Nationalstaats beitragen: In den hier zu untersuchenden horizontalen Beziehungen zwischen Bürgern vertieft sich die transnationale Solidarität, die die „Welt“-Bürger einander als Angehörige der einen Menschheitsgemeinschaft schulden, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte angesprochen ist.
Ausgewählte Publikationen
Tine Stein (2008). Global Social and Civil Entrepreneurs: An Answer to the Poor Performance of Global Governance? Paper presented at the Annual Meeting of the American Political Science Association, 28-31 08 2008, San Francisco, California.