Pressemitteilung

Für mehr Transparenz und direkte Demokratie

Aktuelle Befragung des WZB über 90 Prozent der Demonstrierenden gegen Stuttgart 21 finden zivilen Ungehorsam legitim

Die Montagsdemonstrationen gegen Stuttgart 21 werden in der Öffentlichkeit häufig als Testfall für die repräsentative Demokratie gesehen. Wie eine aktuelle Befragung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) zeigt, lässt sich aus den Demonstrationen – neben dem Protest gegen den unterirdischen Bahnhofsneubau – vor allem ein Wunsch nach mehr direkter Demokratie ablesen.

Die Protestforscher Dieter Rucht, Britta Baumgarten und Simon Teune haben am 18. Oktober bei der Kundgebung gegen Stuttgart 21 im Schlossgarten 1.500 Fragebogen an Demonstrierende verteilt. Mehr als 800 von ihnen – 54 Prozent – haben den umfangreichen Fragenkatalog der Wissenschaftler beantwortet. Als Hauptmotive gegen Stuttgart 21 werden vor allem die hohen Kosten des Projekts, Demokratiedefizite bei der Projektplanung und beim Umgang mit den Demonstrierenden sowie Profite auf Seiten der Banken und Baukonzerne genannt.

Die ersten Ergebnisse der Befragung zeigen, dass in Stuttgart nicht in erster Linie die konservativen Bürger auf die Straße gehen: Die Demonstranten ordnen sich überwiegend der linken Mitte zu. Es sind kritische Demokraten, die ihren Protest gegen Stuttgart 21 als Chance sehen, sich für eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch direktdemokratische Verfahren einzusetzen und ihre große Unzufriedenheit mit der Bundes- und Landesregierung ausdrücken wollen. Für viele der Befragten war die Polizeigewalt bei der Räumung des Schlossgartens am 30. September ein Schlüsselerlebnis, bei dem das Vertrauen in die Landesregierung völlig erschüttert wurde. Die Demonstrierenden sind mit 84 Prozent weitaus unzufriedener mit dem Funktionieren der Demokratie als der Rest der Bevölkerung (beim Deutschlandtrend der ARD waren es im Juli 51 Prozent, die sich unzufrieden zeigten).

Über 50 Prozent der Demonstrierenden sind zwischen 40 und 54 Jahre alt; jünger als 25 Jahre sind 7 Prozent. Die Gruppe der Renter ist mit 14 Prozent kleiner als oftmals vermutet. In Stuttgart gehen die Akademiker auf die Straße: Die Hälfte der Befragten hat einen Universitäts- oder FH-Abschluss.

Es gibt massive Vertrauensdefizite für die Parteien, die Stuttgart 21 vorangetrieben haben. Festzustellen ist eine deutliche Verschiebung der Parteibindung hin zu Bündnis 90/Die Grünen. Wären am Sonntag Wahlen, würden 80 Prozent auf Landesebene und 75 Prozent auf Bundesebene die Grünen wählen. Und ein weiterer wichtiger Befund: Zwei Drittel der Protestierenden in Stuttgart haben zu Mitteln des zivilen Ungehorsams (zum Beispiel Besetzungen und Blockaden) gegriffen oder würden dies tun.

Die Überschrift der ursprünglichen Presseerklärung lautete: „90 Prozent der Demonstranten gegen Stuttgart 21 zu zivilem Ungehorsam bereit“. Diese Formulierung hat sich als missverständlich herausgestellt. Im Fragebogen wurden zwei Fragen zum zivilen Ungehorsam gestellt. Der Aussage „Beim Protest gegen Stuttgart 21 sind Aktionen gerechtfertigt, bei denen Gesetze übertreten werden, die aber gewaltfrei sind (z.B. Sitzblockaden)“ stimmten 93 Prozent zu (67 volle Zustimmung, 26 Prozent eher Zustimmung). Auf die Frage, ob sie sich an „einer direkten Aktion (wie z.B. Blockade, Besetzung, ziviler Ungehorsam)“ beteiligt haben oder dies tun würden, antworteten 44 Prozent, sie hätten Erfahrungen mit zivilem Ungehorsam, weitere 22 Prozent gaben an, sie würden dies tun.

Dokumentation der Pressekonferenz

Pressekontakt: Kerstin Schneider, Referat Information und Kommunikation, Tel.: (030) 25491-517, E-Mail: kerstin.schneider [at] wzb.eu (Kerstin )