Überwachungskamera
Rene Zieger/ OSTKREUZ

Bitte lächeln, Sie werden beobachtet

Die Technopolitik der Überwachung

Überwachung ist seit Langem eine der wichtigsten Strategien, die Staaten einsetzen, um unerwünschte Aktivitäten ihrer Bürger*innen zu verhindern oder zu unterbinden. Doch wie hat sich staatliche Überwachung im digitalen Zeitalter entwickelt? Mariana Canto untersucht die historischen Ursprünge der Überwachung, ihre Auswirkungen und die Nutzung neuer Technologien durch Strafverfolgungsbehörden.

Überwachung zählt zu den wichtigsten Taktiken staatlicher Stellen, um unerwünschte Aktivitäten zu verhindern oder zu beenden. Einige Autoren verankern die erste Phase von Überwachungstheorien im Werk des englischen Philosophen Jeremy Bentham und bei Michel Foucault. Neben den damals üblichen repressiven Praktiken zur Kontrolle der Gesellschaft bildet sich im Zuge der Entstehung des Panoptismus eine architektonische Überwachung heraus, bei der die zentralisierten Kontrollmechanismen meist physischer und räumlicher Natur sind, so wie es heute z. B. bei Videoüberwachung der Fall ist. Die Auswirkungen einer architektonischen Überwachung gehen jedoch darüber hinaus. Die Dauerbeobachtung beinhaltet auch die Selbstdisziplinierung des beobachteten Subjekts. Daher liefert Überwachung den kontrollierenden Behörden nicht nur Informationen, sie erzeugt auch das Orwell’sche Gefühl, ständig beobachtet zu werden, und resultiert somit in Selbstkontrolle. Trotz der bekannten sozialen Auswirkungen von Überwachung sind Strafverfolgungsbehörden in vielen Ländern der Welt der Ansicht, dass solche Disziplinierungsmaßnahmen dem Staat – und somit den Polizeikräften – die Kontrolle über die Bevölkerung ermöglichen, ohne auf den problematischen und teuren Einsatz von physischer Gewalt und repressiven Maßnahmen zurückgreifen zu müssen.

In den letzten Jahren haben die technologische Entwicklung und die Einführung verschiedener digitaler und datengesteuerter Instrumente auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit dazu geführt, dass sich der Schwerpunkt der Überwachung vom Aufbau physischer Kontrollarchitekturen auf intransparentere und vernetzte Formen der Überwachung verlagert hat. Für eine effektive Beobachtung und Informationssammlung investiert die Polizei in vielen Ländern in neue Instrumente, die (vorgeblich) in der Lage sind, die Überwachung verdächtiger Verhaltensweisen und krimineller Aktivitäten zu automatisieren. So werden neue Technologien und Big Data zu den stärksten Verbündeten von Strafverfolgungsbehörden weltweit.

Verstärkt wird diese Tendenz durch problematische Narrative, die von einem gewissen Strafrechtspopulismus inspiriert sind und dazu führen, dass unpräzise und nicht ausreichend entwickelte Technologien und Instrumente, wie automatisierte Gesichtserkennung und „Predictive Policing“, als Allheilmittel zur Lösung komplexer polizeilicher Probleme verkauft werden. In Folge entscheiden sich Gesetzgeber für strafrechtliche Sanktionen womöglich aufgrund ihrer Beliebtheit bei den Wählern und nicht aufgrund ihrer Wirksamkeit bei der Bekämpfung von Kriminalität und sozialen Problemen.

Der Einsatz von Technologien durch Regierungen und Behörden ist längst Realität und wurde in den letzten zehn Jahren aufgrund einer steigenden Tendenz zum Tech-Solutionismus weiter gefördert. Unter dem Begriff Tech-Solutionismus wird die Vorstellung verstanden, dass der Einsatz von Technologie mit dem richtigen Code und den richtigen Algorithmen alle Probleme der Menschheit lösen und das Leben reibungslos und ohne Probleme gestalten kann. Insbesondere in Zeiten globaler Unsicherheiten, wie der Covid-19-Pandemie, wurde die Idee, dass menschliches Verhalten durch Quantifizierung überwacht und vorhergesagt werden kann, zunehmend reizvoller. Da Technologien im Alltag der Bürger*innen ständig präsenter werden, wird die Technopolitik – also die der Technologie inhärente Politik – als grundlegend für die Analyse und das Verständnis der heutigen Welt angesehen. Anstatt sich jedoch nur auf die Möglichkeit einer von dystopischen Technologien beherrschten Zukunft zu konzentrieren, ist es notwendig, Technopolitik als einen strategischen Raum der Auseinandersetzung zwischen einer Vielzahl von Akteuren und Kräften anzusehen.

Wie in unterschiedlichen Rechtsräumen weltweit zu beobachten ist, überschneidet sich in Ländern mit einer neoliberalen Agenda die Verwaltungslogik privater Unternehmen stark mit den Techniken der öffentlichen Verwaltung, wobei zumeist keine (oder nur minimale) Anpassungen vorgenommen werden. Neuere Forschungsarbeiten zeigen, dass in diesen Fällen der Staat nicht nur eine hybride Gestalt unter starker Beteiligung des Privatsektors annimmt, sondern auch Unternehmenspraktiken und soziotechnische Instrumente übernimmt, die aus einer technologischen Infrastruktur der Unternehmenseffizienz heraus entwickelt wurden. Ein Bespiel dafür stellt das Feld der Strafverfolgung dar, in dem der Einfluss des Privatsektors in vielen Ländern klar zu sehen ist. Die Rolle der Polizeibehörden als Abnehmer von Überwachungstechnologien, deren Markt von einer begrenzten Anzahl privater Unternehmen kontrolliert wird, verdient eine genauere Analyse. In den USA zum Beispiel sind sich viele Strafverfolgungsbehörden der mangelnden Kontrolle über das Design und die Funktionen von am Körper getragenen Kameras bewusst. Im Jahr 2015 kam die Autorin einer Studie über die Verwendung solcher Kameras durch US-Strafverfolgungsbehörden zu dem Schluss, dass viele Technologieentscheidungen weitgehend durch die Auswahl des Anbieters und nicht durch festgestellte und artikulierte technische Anforderungen bestimmt werden.

Neben der Monopolisierung des Überwachungsmarkts wird der fehlende Dialog zwischen unterschiedlichen Stakeholdern und der Öffentlichkeit bei der Einführung von Technologien durch die Polizei in verschiedenen Regionen der Welt bemängelt. Denn solche geschlossenen Diskursräume verhindern letztlich einen Wandel, da alte Strukturen und repressive Machtverhältnisse weiter reproduziert werden. Aber auch die technologische Entwicklung scheint in geschlossenen Silos stattzufinden, zu denen nur eine privilegierte Gruppe Zugang hat, die als „Innovatoren“ betrachtet werden. Durch den Ausschluss von Teilen der Gesellschaft aus diesem Ökosystem werden diese Praktiken hochpolitisch. Diese Art von „situiertem Wissen“ wird noch offenkundiger, da Wissen nur mit bestimmten Autor*innen und privilegierten Gruppen in Verbindung gebracht wird. Obwohl technopolitische Diskussionen von vielen in der Tech-Community aufgegriffen werden, tragen institutionelle, technische und kulturelle Normen zu einem Mangel an Vielfalt der Perspektiven bei, der dazu führt, dass einseitige und deterministische Ansichten vorherrschen. So glaubt unsere Gesellschaft immer noch, dass es sich bei Technologien um exakte und neutrale Werkzeuge handelt, deren technologische Entwicklung vom Menschen nicht beeinflusst werden kann.

Die Neutralität der Technologien – und der Wissenschaft – galt lange Zeit als unumstößliche Wahrheit. Viele haben versucht, technologische Geräte als eigenständige Objekte zu analysieren, wobei sie die Auswirkungen der unmittelbaren Umstände und Kontexte, die mit technologischen Praktiken verbunden sind, meist außer Acht ließen. Dabei zeigen insbesondere Studien aus dem Gebiet der Surveillance Studies und der Science and Technology Studies (STS), dass die zur Überwachung und Kontrolle eingesetzten Instrumente nicht von den politischen und sozialen Umständen abgekoppelt werden können.

So sollte auch der technologische Entwicklungsprozess nicht nur durch technologische Probleme bestimmt werden. Einbezogen müssen vielmehr auch „technologische Probleme, die sich aus der Anwendung von Technologie durch bestimmte soziale Gruppen ergeben“. Ein Problem wird also nur dann als Problem wahrgenommen, wenn es von einer bestimmten relevanten sozialen Gruppe als solches wahrgenommen wird. Wenn ein neues Artefakt geschaffen wird, um dieses spezifische Problem zu lösen, kann die neue Technologie wiederum die Entstehung eines neuen Problems oder neuer Probleme für verschiedene soziale Gruppen bedeuten. Bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen einem Artefakt und sozialen Gruppen müssen daher auch Machtasymmetrien, politische und kulturelle Unterschiede berücksichtigt werden. Auch Überwachung kann nur unter Berücksichtigung der vielfältigen Beziehungen, die in unserer Gesellschaft bestehen, analysiert werden. Wie die umfangreiche STS-Literatur zu diesem Thema zeigt, können die Auswirkungen von Technologien in unserer Gesellschaft nicht von bereits bestehenden Ungleichheiten und sozialen Differenzierungskategorien (z. B. Ethnizität, Geschlecht, Klasse) abgekoppelt werden.

Jahrelang wurde in der Überwachungsforschung unterschieden zwischen staatlicher Überwachung – die als politische Überwachung betrachtet wurde – und kommerzieller Überwachung. Diese Sichtweise scheint heute jedoch überholt, da alle Arten der Überwachung als politisch angesehen werden können. Durch Skandale wie Cambridge Analytica wurde noch deutlicher, dass der „Überwachungskapitalismus“ in hohem Maße mit politischen Zielen und der Manipulation demokratischer Prozesse verbunden sein kann.

Darüber hinaus ist das Monitoring vulnerabler und marginalisierter Personengruppen ein wichtiger Aspekt, der bei der Untersuchung von Polizeihandeln und Überwachung berücksichtigt werden muss. Im 18. Jahrhundert wurden „Schwarze, Mischlinge und Ureinwohner“ in den USA durch sogenannte Laternengesetze verpflichtet, Laternen zu tragen, um nachts auf der Straße sichtbar zu bleiben. Derartige Maßnahmen dienten nicht nur dazu, bestimmte Personengruppen zu überwachen, sondern auch dazu, ihren Zusammenschluss zu behindern. Vom 12. bis zum 17. Jahrhundert schränkten in Großbritannien die Poor Acts die Bewegungsfreiheit von Arbeiter*innen und Bettler*innen ein, indem Sozialhilfeempfänger*innen verpflichtet wurden, ihren Status durch das Tragen sichtbarer Abzeichen zu kennzeichnen. Heute rücken neue Formen der Überwachung in den Blick, vor allem in Bezug auf Migrant*innen und Asylbewerber*innen aus dem Globalen Süden. Die Überwachung bestimmter Gruppen begann also lange vor der elektronischen Überwachung, eine historische Kontinuität, deren politische Auswirkungen oft übersehen werden, wenn wir heute über den Einsatz von Technologien für polizeiliche Zwecke diskutieren.

In den letzten Jahren untersucht eine wachsende Zahl von kritischen Fallstudien aus der Wissenschaft und aus der Zivilgesellschaft die Richtigkeit, Notwendigkeit und Wirksamkeit der von Strafverfolgungsbehörden genutzten Technologien. Doch trotz dieser wachsenden Literatur über die Zukunft von Polizeiarbeit und Technologie fehlt es weiterhin an praktischen und empirischen Analysen, wie technische Instrumente konkret entwickelt und eingesetzt werden. Aufgrund von Industriegeheimnissen sowie mangelnder Transparenz oder fehlendem Zugang zu Polizeiakten und internen Abläufen ist die Forschung meist nicht in der Lage, die tatsächlichen Auswirkungen und die Funktionsweise bestimmter Technologien zu beurteilen.

Obwohl wir im „Informationszeitalter“ leben, sind breite öffentliche Diskussionen über Überwachung und neue Technologien folglich oft nur durch die Aktionen von Whistleblowern möglich oder beruhen hauptsächlich auf spekulativen Studien. Viele Beobachter betonen daher, dass Diskussionen über Oversight-Mechanismen, Transparenz und Rechenschaftspflicht zum Einsatz von Technologien durch Strafverfolgungsbehörden auf partizipatorische Weise und mit Blick auf das konkrete gesellschaftspolitische Umfeld geführt werden müssen. Denn nicht zuletzt ist der Staat durch den gesetzlichen Schutz der demokratischen Rechtsstaatlichkeit zur Achtung der bürgerlichen Freiheiten und der Menschenrechte verpflichtet.

Literatur

Benjamin, Ruha: Race after Technology: Abolitionist Tools for the New Jim Code. Cambridge: Polity 2019.

Browne, Simone: Dark Matters: On the Surveillance of Blackness. Durham: Duke University Press 2015. DOI: 10.2307/j.ctv11cw89p.

Eubanks, Virginia: Automating Inequality: How High-tech Tools Profile, Police, and Punish the Poor. New York, NY: St. Martin's Press 2018.

Haraway, Donna: “Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective.” In: Feminist Studies, 1988, Vol. 14, No. 3, pp. 575-599. DOI: 10.2307/3178066.

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04.07.2023

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