Gar nicht fair
Die Sprachdienste digitaler Plattformen sind aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Doch wie gut sind die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten dieser Plattformen? Forschende des Fairwork-Projekts haben sich neun Plattformen genauer angeschaut und diese nach fünf Prinzipien fairer Arbeit bewertet.
Die digitale Plattformökonomie wächst rasant. Das betrifft auch den Markt für Sprachdienstleistungen, die aus der Ferne erledigt werden können. Übersetzungen, Transkriptionen oder Untertitelungen auszulagern, ist in vielen Sektoren bereits üblich: Transkribierende, die auf Plattformen arbeiten, helfen Anwaltskanzleien bei der Transkription von Gerichtsverfahren, verschriftlichen medizinische Konsultationen, dokumentieren Notrufe für lokale Behörden, erstellen Protokolle für Geschäftsbesprechungen oder verwandeln Interviews in Schriftstücke für Forschende. Auch der Bedarf an Übersetzungsleistungen steigt. Global tätige Unternehmen müssen ihre Webseiten in mehreren Sprachen anbieten, um Kundinnen und Kunden in verschiedenen Märkten anzusprechen. Ebenso benötigen multinationale, weltweit verteilte Teams Prozesse und Dokumente in mehreren Sprachen.
Digitale Übersetzungs- und Transkriptionsarbeitsplattformen vermitteln diese Dienstleistungen. Sie bringen Arbeitskräfte mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen aus verschiedenen Ländern zusammen und bieten den Kundinnen und Kunden so eine einfache zentrale Anlaufstelle (One-Stop-Shop). Die bequemen und preiswerten Dienste digitaler Arbeitsplattformen werden weltweit geschätzt.
Wie sich diese neue Form der Arbeitsvermittlung auf die Beschäftigten auswirkt, ist jedoch weit schwieriger zu bestimmen. Freiberufliche Arbeitsverhältnisse waren in der Übersetzungs- und Transkriptionsbranche schon vor dem Aufkommen digitaler Arbeitsplattformen üblich. Nun eröffnen digitale Plattformen vielen Menschen neue Jobchancen und Verdienstmöglichkeiten, vor allem Arbeiterinnen und Arbeitern aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Das Aufkommen digitaler Arbeitsplattformen verschärft damit den globalen Wettbewerb zwischen Beschäftigten und verschiebt das Machtgleichgewicht zugunsten der Kundinnen und Kunden.
Doch wer definiert, unter welchen Bedingungen Kunden und Arbeiterinnen Zugang zu diesem Markt haben? In der Regel sind es die Plattformen, die die Geschäftsmodelle und Praktiken prägen. Sie bestimmen die Bedingungen des Austauschs weitgehend allein und verwenden oft intransparente Algorithmen, um Preise festzulegen oder die Arbeitsverteilung zu steuern. Dieses Machtungleichgewicht hat Folgen. So entscheiden die unterschiedlichen Geschäftsmodelle und -praktiken der Plattformen über die Arbeitsbedingungen von Millionen Menschen in den Bereichen Online-Übersetzung und -Transkription. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Positive Veränderungen der Plattformpraktiken können die Bedingungen für sehr viele Arbeiterinnen und Arbeiter schnell verbessern.
Hier setzt das Fairwork-Projekt an, eine Kooperation des Oxford Internet Institute mit Forschenden des WZB. Es untersucht und bewertet die Arbeitsbedingungen auf verschiedenen digitalen Arbeitsplattformen. Das Forschungsprojekt trägt damit einerseits zu einem besseren Verständnis der Veränderungen bei, die digitale Arbeitsplattformen in der Arbeitswelt heute verursachen. Andererseits will das Projekt jedoch auch einen aktiven Beitrag zu einer gerechteren Plattformwirtschaft leisten, indem Unterschiede in den Geschäftsmodellen und -praktiken der Plattformen aufgezeigt werden, die erhebliche Folgen für die Arbeitsbedingungen der Plattformarbeiterinnen und -arbeiter haben. Kundinnen und Kunden wird so die Möglichkeit gegeben, bei der Auswahl von Plattformen eine informierte Entscheidung zu treffen. Dadurch wird auch den Plattformen ein Anreiz geboten, die eigenen Arbeitsbedingungen aktiv zu verbessern. Das Fairwork-Projekt steht jenen Plattformen, die sich bereit erklären, Verbesserungen auf der eigenen Plattform umzusetzen, jederzeit gerne als Ansprechpartner zur Verfügung und berät zu branchenweiten guten Praktiken und Erfahrungen.
Das Fairwork-Projekt führt Plattform-Rankings in mittlerweile 38 Ländern sowie für Online-Arbeitsplattformen, die nicht auf bestimmte Arbeitsmärkte beschränkt sind, durch.
Der Fairwork-Bericht für Übersetzungs- und Transkriptionsplattformen wurde im Oktober 2022 veröffentlicht. Er bewertet neun Plattformen nach fünf Prinzipien fairer Arbeit: faire Bezahlung, faire Bedingungen, faire Verträge, faires Management und faire Mitbestimmung. Neben der Auswertung öffentlich verfügbarer Informationen wurden dafür Interviews mit Beschäftigten und Vertreterinnen und Vertretern der Plattformen geführt. Für jedes Prinzip – das jeweils zwei Schwellenwerte umfasst – konnte jede Plattform maximal zwei Punkte erreichen. Dafür mussten alle Kriterien für beide Schwellenwerte erfüllt werden (Einzelheiten zu den Grundsätzen und den jeweiligen Schwellenwerten finden Sie hier: Link). Nur Plattformen, die den Punkt für den ersten Schwellenwert eines Grundsatzes (z. B. 1.1) erhielten, konnten den Punkt für den zweiten Schwellenwert (z. B. 1.2) bekommen.
Wie die Rangliste zeigt, sind die untersuchten Plattformen weit davon entfernt, die grundlegenden Standards für faire Arbeit zu verwirklichen. Keine Plattform hat alle zehn Punkte erreicht. Die Rangliste macht aber auch deutlich, wie unterschiedlich die Arbeitsbedingungen auf den untersuchten Plattformen sind.
Faire Bezahlung
Vier Plattformen (Translated, TranscribeMe, Gengo, Lionbridge) erhielten einen Punkt, weil sie über Systeme verfügen, die sicherstellen, dass die Beschäftigten pünktlich für ihre gesamte Arbeit bezahlt werden. Von diesen vier Plattformen wurde nur einer Plattform (Translated) ein zusätzlicher Punkt dafür zuerkannt, dass die überwiegende Mehrheit der aktiven Übersetzer und Übersetzerinnen auf der Plattform mindestens den lokalen Mindestlohn verdient.
Faire Bedingungen
Drei Plattformen (TranscribeMe, Translated, Lionbridge) erhielten einen Punkt, weil die Forschenden nachweisen konnten, dass diese Plattformen Maßnahmen ergreifen, um das Angebot und die Nachfrage von Arbeitskraft auf der Plattform aktiv zu steuern, wie z. B. die Beschränkung der Anmeldung neuer Arbeitskräfte, wodurch die Konkurrenz zwischen Beschäftigten um verfügbare Arbeitsaufgaben reduziert wird. Von diesen Plattformen erhielten Translated und TranscribeMe einen weiteren Punkt, weil sie aktive Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor arbeitsbedingten Gesundheits- und Sicherheitsrisiken nachweisen konnten, wie z. B. psychischen Stress durch den Kontakt mit expliziten oder verstörenden Inhalten in Audiodateien oder Textdokumenten.
Faire Verträge
Nur zwei Plattformen, Translated und TranscribeMe, erhielten Punkte für faire Verträge. Bei beiden Plattformen fand das Fairwork-Team Belege dafür, dass die Verträge in einer klaren Sprache verfasst und den Arbeiterinnnen und Arbeitern zugänglich sind, mit den Beschäftigungsbedingungen der Plattform übereinstimmen und dass die Verträge keine Klauseln enthalten, die den Beschäftigten ihr Recht auf angemessene Rechtsmittel entziehen.
Faires Management
Drei Plattformen (TranscribeMe, Translated, Scribie) erfüllen alle Kriterien für faires Management. Das Forschungsteam fand Hinweise darauf, dass die Beschäftigten mit einer menschlichen Vertreterin oder einem Vertreter der Plattform kommunizieren können. Es gibt zudem offiziell dokumentierte und wirksame Verfahren für Beschäftigte, um gegen Entscheidungen wie schlechte Bewertungen oder Disziplinarmaßnahmen vorzugehen. Außerdem fanden die Forschenden Hinweise darauf, dass die Beschäftigten Erklärungen für alle Strafmaßnahmen erhalten. TranscribeMe und Translated erhielten einen zusätzlichen Punkt, weil sie Regeln und Prozesse nachweisen konnten, die das Risiko der Diskriminierung von Arbeiterinnen und Arbeitern durch die Plattform oder Kundinnen und Kunden mindern.
Faire Mitbestimmung
Die Studie konnte keiner der untersuchten Plattformen einen Punkt für faire Mitbestimmung geben. Es fehlten Belege für Streitbeilegungsverfahren, bei denen Beschäftigte Zugang zu unabhängigen Instanzen zur Schlichtung haben oder dokumentierte Verfahren für kollektiven Dialog und Verhandlungen.
Insgesamt belegt die Studie, dass Handlungsbedarf zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen in dieser Branche besteht. Plattformen können ihren Kunden und Kundinnen niedrige Preise anbieten, weil sie keine Fixkosten für Arbeitskräfte ansetzen und stattdessen Arbeitskräfte aus „On-Demand“-Pools beziehen. Da es sich bei den Beschäftigten auf Cloudwork-Plattformen in der Regel um freiberuflich Tätige handelt, fallen diese meist nicht unter das nationale Arbeitsrecht und sind somit auch nicht durch grundlegende Arbeitsrechte und -leistungen wie Mindestlöhne oder bezahlte Kranken- oder Elternzeit abgesichert. Cloudwork im Übersetzungs- und Transkriptionssektor kann daher zwar durchaus neue, attraktive Einkommensmöglichkeiten bieten, vor allem für Beschäftigte aus Ländern mit niedrigem Einkommen, doch bleibt die Arbeit in den meisten Fällen prekär und unsicher.
Die Studie hat aber auch die bestehenden Unterschiede zwischen den Plattformen hervorgehoben und gezeigt, dass Plattformarbeit nicht notwendigerweise unfair sein muss. Nutzerinnen und Nutzern von Übersetzungs- und transkriptionsplattformen wird damit die Möglichkeit gegeben, mit ihren Entscheidungen zur Verbesserung der Plattformökonomie beizutragen.
Für bessere Arbeitsbedingungen auf Online-Plattformen – der „Fairwork Pledge“
Das Fairwork-Projekt wendet sich gezielt an Organisationen, die digitale Plattformen in ihrer Geschäftstätigkeit nutzen. Organisationen sind eingeladen, die Fairwork-Bewertungen bei der Auswahl als Kriterium heranzuziehen und dieses Vorgehen öffentlich zu machen, indem sie den Fairwork Pledge unterstützen.
Das ist in zwei Stufen möglich. Eine Organisation kann zunächst Fairwork-Supporter werden, indem sie öffentlich die Unterstützung für faire Arbeitsbedingungen auf Plattformen erklärt und Mitarbeitenden und Mitgliedern Ressourcen zur Verfügung stellt, die ihnen bei der Entscheidung helfen, welche Plattformen sie nutzen wollen.
Auf einer zweiten Ebene können sich Organisationen als offizielle Fairwork-Partner freiwillig zu konkreten und verbindlichen Änderungen ihrer Prozesse und Praktiken verpflichten, zum Beispiel durch die Nutzung besser bewerteter Plattformen im Rahmen der eigenen Beschaffungsprozesse, wie es das auch das WZB 2021 als Vorreiter bereits getan hat.
Mehr zum Fairwork Pledge gibt es hier.
Literatur
Graham, Mark/Anwar, Mohammed Amir: „The Global Gig Economy: Towards a Planetary Labour Market?“ In: First Monday, 2019, Jg. 24, H. 4-1. DOI: 10.5210/fm.v24i4.9913.
Fairwork (2022): Bewertungen der Übersetzungs- und Transkriptionsplattform Fairwork 2022.
Zur Bildbeschreibung: Software umgibt und durchdringt das Arbeitsleben in softwarebasierten Organisationen. Für dieses mittels Künstlicher Intelligenz erzeugte Bild nutzte unsere Fotoredakteurin Gesine Born die Software Midjourney. Eingegeben hat sie folgende Stichworte: „a photo of The Tower of Babel with modern lights, poor hard working people with laptops in a slum in front, blue sky, sunlight, --ar 4:2 --v 5.1 --s 50”.
Text und Bild stehen unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
17.07.2023