Portrait Philipp Amthor, CDU Politiker, in seinem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern, Ueckermünde, 03.04.2019
Anja Lehmann/OSTKREUZ

Mehr Transparenz wagen

Der Verein LobbyControl und das deutsche Lobbyregister

In Deutschland wurde im Jahr 2021 ein Gesetzentwurf der Regierungskoalition mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion zur Einführung eines deutschen Transparenzregisters verabschiedet – in den USA und auf europäischer Ebene waren schon viel früher Lobbyregister eingerichtet worden. Für das Lobbyregister, das auch der Wissenschaft erweiterte Möglichkeiten bietet, die Lobbyarbeit zu untersuchen, hatte sich lange Zeit LobbyControl eingesetzt: eine Nichtregierungsorganisation (NGO), in der sich auch viele Forschende engagierten. Dieter Plehwe beschreibt, wie 16 Jahre nach Gründung von LobbyControl im Jahr 2005 deren Arbeit endlich Früchte trug.

Gerne wird in der wissenschaftlichen Forschung auf politischen und normativen Abstand zum Gegenstand und Zweck der Forschung jenseits wissenschaftlicher Erkenntnis insistiert. „Meinungsstarke“ Beiträge gelten als suspekt. Max Webers Diktum der Werturteilsfreiheit besagt aber nicht, dass Forschende neutral sind – einmal abgesehen von der Frage, ob sie es überhaupt sein können. Vielmehr geht es darum, dass die Erkenntnisse (die immer wieder vorläufige „Wahrheit“) nicht vom normativen Gehalt abhängen. Sie müssen weiter geprüft werden, empirisch untermauert und durch Verfahren zur Kontrolle der Qualität gesichert werden. Besonders interessant wird der Zusammenhang von sozialem Engagement und wissenschaftlicher Forschung, wenn wichtige Daten zur Verbesserung der Qualität wissenschaftlicher Arbeit und Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge erst durch vorausgehendes Engagement verfügbar werden.

Die Arbeit von Organisationen der neuen Demokratiebewegung (Abgeordnetenwatch, Transparency International, FragDenStaat etc.) mit Forderungen zur Erhöhung von Transparenz im politischen Prozess bietet dazu reiches Anschauungsmaterial. Lange blieb die Forderung nach einem aussagekräftigen Lobbyregister in Deutschland ungehört. Ähnlich wie in den USA und in der EU schaffte erst eine große Krise die Voraussetzung, um ein Gesetz zur Einführung eines solchen Instruments zur Beobachtung von politischer Einflussnahme verabschieden zu können.

In Deutschland war es der Skandal um das US-Start-up Augustus Intelligence im Jahr 2020, das als windiges Unternehmen entlarvt wurde. In ihn waren u. a. der CDU-Politiker Philipp Amthor, der ehemalige Bundesminister und Unternehmensberater Karl-Theodor zu Guttenberg sowie der Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen verwickelt. Die CDU gab ihren Widerstand gegen die Einführung eines Lobbyregisters auf, nachdem nicht nur der Koalitionspartner, verschiedene Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Organisationen der Forderung größeren Nachdruck verliehen, sondern auch Wirtschaftsverbände und andere Lobbyakteure sich der Forderung anschlossen. Im Jahr 2021 war es dann so weit: Im Bundestag wurde der Gesetzentwurf der Regierungskoalition mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD-Fraktion verabschiedet.

Nach 16 Jahren hartnäckiger Arbeit hatte die Initiative von NGO-Campaigner*innen, vielen tausend Mitgliedern und Spender*innen sowie unterstützenden Expert*innen Früchte in Bezug auf eine Kernforderung der Organisation getragen.

Das Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung (Lobbyregistergesetz) verpflichtet Verbände, Unternehmen, Lobbyagenturen, Vereine und auch natürliche Personen zum Eintrag in das Register, wenn sie beständig oder kommerziell gegenüber Bundestag und Bundesregierung Lobbyarbeit leisten. Bei Verletzung der Eintragspflicht drohen Strafen bis zu 50.000 Euro. Es bietet damit auch erweiterte Möglichkeiten, die Lobbyarbeit in Deutschland wissenschaftlich genauer zu untersuchen. Möglich wurde das Gesetz insbesondere durch die Arbeit der NGO LobbyControl. Die Aktivitäten von LobbyControl und verbündeten NGOs der neuen Demokratiebewegung hatten u. a. dafür gesorgt, dass die Einführung eines Lobbyregisters Eingang in die Partei- und Wahlprogramme der Linkspartei, der Grünen und der SPD fanden und sowohl auf nationaler als auch auf Länderebene diskutiert wurden.

Die Geschichte von LobbyControl

Die Gründung von LobbyControl geht auf den Kongress „Gesteuerte Demokratie?“ im Jahr 2004 zurück, an dem die späteren Gründungsmitglieder teilnahmen. Ulrich Müller mobilisierte nach dem Kongress den Ökonomen Thomas Dürmeier sowie die Politikwissenschaftler*innen Heidi Bank und den Verfasser dieses Beitrages, um den Verein zu gründen. Das gemeinsame Ziel waren Analyse und Kritik asymmetrischer Lobby-Machtverhältnisse bei Unternehmen, Interessengruppen und ihren Verbänden in Deutschland und der EU einerseits und erweiterter Lobbymacht in Medien und Öffentlichkeit über Think Tanks und Kampagnenorganisationen andererseits, wie sie zum Beispiel die Stiftung Marktwirtschaft oder die Initiative für eine neue soziale Marktwirtschaft darstellen. Das zentrale Reformprojekt war die Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters in Deutschland.

Die USA als Vorbild

Das Engagement hatte einige Vorbilder. In den USA wurde ein strafbewehrtes Lobbyregister bereits im Jahr 1995 während der Amtszeit von Präsident Clinton eingeführt. 2007 wurde es ergänzt und insbesondere bezogen auf die Höhe der Strafen bei fehlenden bzw. falschen Informationen verschärft. Die zuvor existierenden Regelungen etwa zur Registrierung ausländischer Lobby-Akteure stammten noch aus den 1930er- und 1950er-Jahren und galten längst als überholt, um den modernen Strategien der Einflussnahme gerecht zu werden. Das US-Register ist sehr umfassend; es verpflichtet z. B. auch Rechtsanwält*innen und Kanzleien zur Offenlegung von Informationen über Lobbyaufträge. Im Ergebnis war es seit 2007 sehr einfach möglich, viele Informationen über Lobbyarbeit und -ausgaben von deutschen Unternehmen in USA zu erheben, die in Deutschland und der EU nicht verfügbar waren. Zwar gibt es auch in den USA bis heute Schlupflöcher und Grauzonen der Lobbyarbeit, aber das Lobbyregister kann als wichtiger Meilenstein der Transparenz eingeschätzt werden.

LobbyControl informierte über die Entwicklung in den Vereinigten Staaten, lud US-Expert*innen zu öffentlichen Vorträgen und Informationsveranstaltungen ein und arbeitete mit den Daten des amerikanischen Registers. Empirisch ist dabei u. a. zu beachten, dass hohe Lobby-Ausgaben nicht mit großem Einfluss gleichgesetzt werden können. Die Ausgaben der Hedge-Fonds-Branche etwa gingen nach der Finanzkrise 2007/2008 stark nach oben, weil die Unternehmen sich mit den neuen Ansätzen zur Regulierung der Branche auseinandersetzen mussten. Zuvor hatten sie unbehelligt operieren können, setzten dementsprechend wenig Mittel ein, um Einfluss zu nehmen. Weil in den USA auch Informationen zum spezifischen Anlass der Lobbyarbeit offenbart werden müssen (legislativer Fußabdruck), lassen sich mit dem Register auch Einschätzungen zum Ausmaß des Widerstands aus der Wirtschaft gegen Gesetzesvorhaben treffen. Bis heute bietet das U.S. Register damit Informationen, die in Deutschland nur sehr mühsam erhoben werden können.

Immer wieder geht es bei Lobbyregistern um die Frage, welche Tätigkeiten als legitime oder illegale Lobbyarbeit einzuschätzen sind. Auch das aktuelle US-Register ist nicht perfekt, weil Verstöße nach wie vor nicht systematisch belangt werden und weil es weiterhin Aktivitäten wie verdeckt arbeitende Koalitionen gibt, die z. B. aufgrund der Schwellenwerte für erfasste Mindestausgaben nicht angezeigt werden (müssen). Obwohl in den USA auch gemeinnützige Organisationen Angaben über Finanzierung und Lobbyarbeit machen müssen, wird der Einfluss von Unternehmen, Verbänden und Stiftungen auf Think Tanks z. B. durch die Zwischenschaltung von Fonds (Donors Trust Fund) verschleiert. Aber das US-Register konnte schon seit 1995 als wichtiges Beispiel und Vorbild für die Forderungen in Deutschland und Europa ins Feld geführt werden.

Lobbyregister in der Europäischen Union

Konzernkritische Nicht-Regierungsorganisationen wie Corporate Europe Observatory (CEO) in Brüssel und seit 2005 auch der Verein LobbyControl forderten schon lange ein dem US-Register vergleichbares Instrument in der EU und in Deutschland. Bereits 2008 führte die Kommission ein freiwilliges Transparenzregister ein, nachdem Siim Kallas, der estnische EU-Kommissar für Verwaltung, Audit und Korruptionsbekämpfung, sich für ein verbindliches und strafbewehrtes Register eingesetzt hatte. Auf EU-Ebene entwickelte sich eine rege Reformaktivität. Einerseits reagierte die Kommission mit Transparenzmaßnahmen auf die wachsende Kritik an Demokratiedefizit und Korruption, andererseits wiesen NGOs regelmäßig eklatante Defizite des freiwilligen Registers nach. 2010 trat die EU-Kommission unter Jacques Santer nach massiven Korruptionsvorwürfen zurück. Immer wieder zeigten die Analysen der NGOs fehlerhafte Angaben auf und dokumentierten Akteure, die im Register nicht verzeichnet waren. Das EU-Parlament schloss sich 2011 dem Register der Kommission an. Mit dem Amtseintritt von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 2014 wurden die Anreize für Lobby-Akteure verstärkt, sich zu registrieren. Zum Beispiel konnten nur eingetragene Akteure zu Gesprächen mit der Kommission oder zur Teilnahme an Expertengruppen eingeladen werden. Im Jahr 2021 wurde das Instrument auf die Lobbyarbeit gegenüber dem Europäischen Rat ausgeweitet. Im Lauf der 2010er-Jahre wuchs die Zahl der registrierten Akteure auf über 12.000 an.

In Deutschland sollte es wie erwähnt noch bis 2021 dauern, bis das Lobbyregister eingeführt wurde; bis zuletzt gab es massive Gegenstimmen aus dem Lager der bürgerlichen Parteien und der Wirtschaft, wenngleich längst Gesprächskontakte mit einzelnen Vertretern der CDU und Interessengruppen stattgefunden hatten. Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland, die in den Medien vermehrt als Berliner Lobbyrepublik kritisiert wurde, war es gegen Ende der Ära Merkel offensichtlich geworden, dass durch Korruption und Missbrauch verlorenes Vertrauen in die politischen Institutionen nicht mehr ohne weitere Recherche- und Kontrollmöglichkeiten zurückzugewinnen war. Allerdings steht das heutige deutsche Register weiterhin in der Kritik, weil viele Lobbyakteure sich nicht registrieren müssen. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den USA und in der EU sind etwa die Ausnahmen für Rechtsanwaltskanzleien unverständlich. Auch die Privilegien für Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind vor dem Hintergrund des Wandels im System der Interessenvertretung nicht mehr nachvollziehbar. Zwar gelten Arbeitgeberbände und Gewerkschaften im Gegensatz zu einzelnen Konzernen oder Branchenverbänden als (stärker) am Gemeinwohl orientierte Kräfte, die mit den staatlichen Akteuren gute Lösungen aushandeln (sollen), aber die Vorstellungen von gemeinsamer (korporatistischer) Steuerung im allgemeinen Interesse gilt zu Recht als überholt. In der Forschung wird der Erfolg von Lobbyarbeit insbesondere auf die Arbeit von Koalitionen und Allianzen zurückgeführt, in denen verschiedene Unternehmen, Verbände und Vereine sowie ihre Partner und Dienstleister zusammenwirken. Es fällt daher vermutlich sehr schwer, die „gute“ gemeinwohlorientierte von der problematischen Lobbyarbeit im engeren Interesse zu trennen.

Und es gibt ein weiteres Manko: In Deutschland fehlt es mangels Informationspflichten weiterhin an Angaben zum Inhalt der Lobbyarbeit und zum finanziellen Umfang. Damit sind wichtige Voraussetzungen zur Erhebung von Daten zur Beteiligung von Lobbyakteuren am Gesetzgebungsprozess wie zur Ermittlung der sehr ungleich verteilten finanziellen Mittel zur Einflussnahme nicht gegeben.

Die Auseinandersetzung um die Einführung und Reform der Lobbyregister in USA, EU und Deutschland zeigt vor allem, dass die Einsicht in den Bedarf an erweiterten Beobachtungs- und Analyseinstrumenten gewachsen ist. Die Transparenzregister helfen dabei, wichtige und große Lücken in der Datengrundlage zur Analyse von Interessengruppen und Politiknetzwerken zu schließen. Bessere Möglichkeiten zur Recherche muss es darüber hinaus auch dringend bei der Arbeit von Stiftungen und anderen einflussreichen Organisationen der Zivilgesellschaft geben, weil die Grenzen zwischen Expertise und Lobbyismus verschwimmen.

Die Arbeit mit den Transparenzregistern schlägt sich sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch im Bereich des investigativen Journalismus mit vielen und oft hochinteressanten Ergebnissen nieder. Lobbyregister und die engagierte Arbeit von lobbykritischen Organisationen ändern selbst zwar nichts an der bestehenden Verteilung von Macht und Einfluss, aber sie ermöglichen besseren Einblick in Strukturen und Aktivitäten von Lobbyakteuren und schaffen damit wichtige Voraussetzungen für die Diskussion über weiteren Bedarf an politischen Reformen.

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Literatur

Müller, Ulrich/Giegold, Sven/Arhelger, Malte (Hg.): Gesteuerte Demokratie? Wie neoliberale Eliten Politik und Öffentlichkeit beeinflussen. VSA-Verlag Hamburg 2004.

Vgl. zum Thema auch das Dossier Lobbyismus der Bundeszentrale für politische Bildung:

Transparenzhinweis: Der Autor Dieter Plehwe ist WZB-Forscher und Gründungsmitglied des Vereins LobbyControl.

18.12.23

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